Bob Dylan 2025/ 2026

Rückblick und Ausblick

Bob Dylan, Foto aus dem Jahr 2019 und nicht von der RARW-Tour, Foto: Wikimedia Commons

Das Dylan-Jahr 2025 war das Jahr der zwei Dylans. Während der alte Dylan unermüdlich Nordamerika und Europa bereiste, war auf Tonträgern und im Film der junge Dylan omnipräsent.

„Like A Complete Unknown“

Anfang des Jahres erschien auch hierzulande das Dylan-Biopic „Like A Complete Unknown“. Trotz der großartigen Regie von James Mangold und den fantastischen schauspielerischen Leistungen von Timothée Chalamet als Bob Dylan und Edward Norton als Pete Seeger ging der Film bei den Oscar-Prämierungen leer aus. An der Kasse war der Film allerdings ein Erfolg. Die Älteren freuten sich, dass diese Geschichte endlich erzählt wurde, die Jüngeren wurden mit Chalamet in den Film gelockt und begeisterten sich für den rebellischen Musiker. Dass der Film im Sommer dann bei vielen Open-Air-Festivals gezeigt wurde, ist ein Beweis für die große Nachfrage. Der Betreiber dieses Blogs hat den Film mittlerweile viermal gesehen: In einer Pressevorführung in Englisch, als Vortragender bei der Darmstadt-Premiere im Filmtheater Rex in Deutsch, als Vortragender bei der Atlantischen Akademie in Kaiserslautern in Englisch mit deutschen Untertiteln und beim Seminar in Malente nochmals auf Deutsch.

Outlaw-Tour und Farm Aid

Im Sommer war Dylan wieder mit seinem Freund Willie Nelson in den USA auf der Outlaw-Tour unterwegs. Dort spielte er u.a. mit dem jungen Country-Bluegrass-Star Billy Strings und vermummte sich gegen Ende der Tour dann völlig, weil ihn das Fotografieren nervte. Derart mit Hoody vermummt, trat er dann auch beim 40. Farm Aid auf, wo auch der derzeit angesagte neue Protest-Dylan Jesse Welles auftrat.

Retro-Veröffentlichungen

Im Herbst ging es dann auf eine ausgedehnte Europa-Tour, während gleichzeitig die neueste Folge der Bootleg-Series ganz weit zurück zum ganz frühen Dylans führte. Ende November zum Record Store Day erschienen dann auch noch „The Freewheelin‘ Bob Dylan“ mit der damals ursprünglich geplanten Setliste (inklusive „Talkin John Birch Paranoid Blues“) und eine Live-Aufnahme seines Anti-Kriegs-Klassikers „Masters Of War“ vom 1. Januar 1963. Alles ganz schön retro und doch ganz aktuell: Die John Birch Society waren so etwas die MAGA-Vorfahren und Masters Of War ist angesichts der Kriege in der Welt immer aktuell.

Große Kunst und getrübte Freude

Dylans Performance bei seinen Europa-Konzerten war große Kunst. So gut, vital und künstlerisch beeindruckend, das schon da allen, die dabei waren, klar war: Das war kein Abschied. Und so veröffentlichte Dylan dann auch eine Botschaft im Internet, dass er im Frühjahr wieder touren würde und schon kurze Zeit später wurde die gesamte US-Frühjahrs-Tour 2026 mit allen Konzerten auf einen Schlag publik gemacht.

Getrübt wurde die Europa-Tour allerdings durch einen Vorfall, der Schlagzeilen machte: Dem Betreiber der Dylan-Fan-Plattform „Daily Dylan“ wurde bei einem Konzert in Glasgow vom Sicherheitspersonal eindringlich und bestimmt klar gemacht, dass er das Konzert zu verlassen hätte. Es wird davon ausgegangen, dass dies geschehen ist, weil auf „Daily Dylan“ von anderen erstellte Konzertmitschnitte und Konzertfotos der gerade laufenden Tour geteilt wurden. Bei der Rough And Rowdy Ways-Tour herrscht absolutes Handy- und Fotoverbot. Mitschnitte und Fotos findet man allerdings auch an vielen anderen Stellen im Internet, und diese haben die Dylan-Fangemeinde auch in für Künstler wie Fans gleichermaßen nicht immer einfachen Zeiten von Mitte der 1980er bis Ende der 1990er mit ihrem Meister zusammengeschweißt. Die Plattform verzichtet darauf zukünftig. Man wird schauen, wie es für „Daily Dylan“ weitergeht.

Frühjahrstour in den USA und dann?

Was danach kommt, weitere Konzerte in Europa oder anderswo, das steht aber noch in den Sternen. Und ob wir nach dem großen Retro-Jahr 2025 endlich mal wieder neue Bob-Musik bekommen, bleibt auch vorerst ungeklärt. Wie auch immer: Der Dylan dieser Tage ist so rastlos und produktiv wie eh und je. Und wenn es kein Album oder Konzert ist, dann zeichnet und malt er ja auch noch: Point Blank – eine Sammlung von gut 100 Zeichnungen – erschien am 7. November – und sollte seine einzige wirkliche Neuveröffentlichung in diesem Jahr bleiben.

Es bleibt also spannend. Wie immer zum Jahresausklang wünscht der Cowboy Band Blog mit „Must Be Santa“ ein frohes Fest und einen guten Rutsch!

Bob & Brel in Brüssel

Noch ein Nachtrag zu Dylans Brüsseler Konzerten

Jaques Brel 1963, Foto: Wikimedia Commons

Wenn wir zu Dylans Konzerten reisen, dann tauchen wir in die Städte ein, in denen sie stattfinden. Und eigentlich immer gibt es dort etwas zu sehen, das einen Dylan-Bezug aufweist. In Augsburg 2019 besuchten wir das Brechthaus, wohl wissend, dass der frühe Songwriter Dylan durchaus von der Brecht’schen Dramatik beeinflusst war. Und wir haben die Augsburger Puppenkiste besucht. Denn ist der „Seelefant“ aus der Urmel-Reihe nicht auch so ein außergewöhnlicher, einsamer Sänger, der den Blues hat? In Berlin 2022 war dann das dortige Brecht-Weigel-Museum unser Ziel. Und in Brüssel Ende Oktober haben wir uns das Jaques-Brel-Haus angesehen.

„Der belgische Bob Dylan“

Bob Dylan 1963, Foto: Wikimedia Commons

Zwar hatte Brel so gut wie keine Verbindungen zur US-amerikanischen Musiktradition, dennoch wird er oftmals als „belgischer Bob Dylan“ bezeichnet. Amy Graves Monroe, außerordentliche Professorin für Französisch und Leiterin des Fachbereichs Romanische Sprachen und Literaturen, erklärt diesen Vergleich: „Er ist wie Bob Dylan, ein Singer-Songwriter der Extraklasse, ganz ohne Schnickschnack. Sein Songwriting-Stil legt das Lied, den Songwriter, seine Kunst und seine einzigartige Performance schonungslos offen. Ich glaube, was die Leute an Jacques Brel fasziniert, ist nicht nur die Lyrik seiner Texte, sondern auch der Klang seiner Stimme. Man findet selten jemanden, der so viel Emotion in eine einzige Gesangsphrase packen kann. Nur Menschen mit höchster Kontrolle und emotionaler Ausdruckskraft können so singen.“

Doch während Dylan gerade in seiner Frühzeit oftmals erst fatalistisch, dann cool klang, war Brel ein gesanglicher Expressionist per excellence. Und gerade seine Performances lebten davon, dass er die Lieder lebte. Wenn er seinen Klassiker „Amsterdam“ über das brutal-tragische Treiben im Amsterdamer Hafen sang, dann litt er so sehr mit den Figuren und den Umständen, dass er am Ende schweißgebadet war.

Brel gehört wie Dylan zu größten Songwritern aller Zeiten

Thomas in Brüssel mit Bob…

Doch hinter diesem spektakulären darstellerischen Gesang, darf man seine Songwriting-Kunst nicht vergessen. Der mit Bob Dylan befreundete Wim Wenders zählt Brel zu den fünf größten Liedtextern aller Zeiten. Wie die viele seiner Singer-Songwriter-Zeitgenossen bestehen auch Brels frühe Werke hauptsächlich aus geradlinigen, kurzgeschichtenartigen Liedern. An Johnny Cash oder den frühen Bob Dylan erinnert sein sparsames Arrangement und seine erzählende Haltung bei „Le Moribond“ (Der Sterbende). Hier ist Brel voller Zynismus und Spielerei und schildert so humorvoll die Erkenntnisse eines Mannes auf dem Sterbebett.

Kommen wir nochmal zur Musiktradition. Es gibt noch etwas verbindendes zu Dylan. So wie der und das US-Folkrevival erlebte das französische Chanson als Ausdruck einer „Volkskultur“ seinen Aufstieg zur Massenwirkung in späten 1950ern und den 1960er Jahren.

Brel früh vollendet und früh verstorben – Dylan im hohen Alter unermüdlich auf Tour

…und Thomas in Brüssel mit Brel, Fotos: Cowboy Band Blog

Größter Unterschied zwischen Dylan und Brel dürfte dagegen sein, dass Brel irgendwann tatsächlich sein Herz „leer“ gesungen hatte. Bereits Ende der 1960er-Jahre ging er auf Abschiedstournee und verlegte er sich erst vom Singen zum Filmen. Er spielte in einigen Filmen mit, scheiterte dann aber mit einem eigenen Filmprojekt – mit Wild-West-Motiv (!) – genauso wie Dylan später mit seinem Filmen scheitern sollte. Danach zog sich Brel zurück und starb 1978 im Alter von nur 49 Jahren. Ein früh vollendeter, früh gestorbener Chansonier der Meisterklasse. Bob Dylan dagegen steht heute mit 84 Jahren noch immer auf der Bühne und sein Gesang ist besser und expressiver als je zuvor.

Auch und gerade bei den Konzerten in Brüssel, wo wir in die Welt von Bob und Brel eintauchen durften.

Black America sings Bob Dylan, zweiter Teil

Die Songsammlung “Highway Of Diamonds” erscheint 2026 und ist noch besser als der erste Teil

Copyright: Ace Records

 Vor ein paar Jahren erschien das Album „How Many Roads…? Black America sings Bob Dylan“. Allesamt Dylan-Coverversionen aus der afroamerkanischen Community, allesamt hörenswert. Nun erscheint ein zweiter Teil unter dem „Highway Of Diamonds“. Und, was soll man sagen? Diese Sammlung ist noch besser als die erste. Denn neben der großartigen Nina Simone, deren Dylan-Interpretationen zu den besten überhaupt zählen, sind diesmal auch einige Künstler dabei, deren Geschichte unmittelbar mit Dylan verwoben ist.

So beginnt die Kompilation mit der Staple Singer-Version von „A Hard Rain’s a-gonna fall“. Wie wir ja alle wissen, war Bobby mal ganz doll verliebt in Mavis Stapels und machte ihr einen Heiratsantrag. Sie lehnte ihn ab. Sie war jung und möglicherweise fürchtete sie auch die Tatsache, dass gemischtrassige Paare in den USA zu dieser Zeit noch vielen Anfeindungen ausgesetzt waren. Dennoch sind sie lebenslange Freunde geblieben und haben vor einigen Jahren eine scheppernd-gute Version „Change My Way Of Thinking“ aufgenommen.

Ebenfalls mit einer Gospel-Version sind „The Brothers And Sisters Of Los Angeles“ am Start. Sie singen „The Times They Are A-Changin‘“. Unter den Sängerinnen und Sängern des Chores, der nur für das Dylan-Cover-Album „Dylan’s Gospel“ 1969 von Lou Adler zusammengestellt wurde, befindet sich auch Clydie King. Clydie war damals eine begehrte Backgroundsängerin u.a. für Ray Charles, Joe Cocker und bei Produktionen von Phil Spector. Ihre eigenen Soloarbeiten im Bereich Soul, R&B und Funk fanden dagegen nur leidlich Anklang. In den frühen 1980er Jahren war sie dann Background-Sängerin von Bob Dylan und es heißt, sie hätten auch eine amoröse Beziehung gehabt. Unvergessen beider Duett von „Abraham, Martin and John“.

Nach den Brothers And Sisters folgt dann unmittelbar Harry Belafonte mit „Tomorrow Is A Long Time”. Für Harry spielte Bobby 1961 Mundharmonika und Belafonte gehörte ja zum Kreis der kulturellen Linken in den USA wie Dylans Mentoren Pete Seeger und Joan Baez. Und dann endlich Odetta. Die schwarze „Queen Of Folk“ war die zweite, die ein ganzes Album mit Dylan-Songs veröffentlichte und sie war die erste Afroamerikanerin, die das tat. Sie ist leider etwas in Vergessenheit geraten. Es lohnt sich und es wird Zeit, sie wiederzuentdecken.

Und ebenfalls auf dem Album enthalten ist Betty LaVette mit „Everything is broken“. Die Soul-Diseuse hatte 2018 ihr Dylan-Cover-Album „Things Have Changed” aufgenommen, das ebenfalls zu den stärksten Dylan-Song-Sammlungen überhaupt gehört. Mit ihrer apart-brüchigen Stimme verleiht sie den Song von „His Bobness“ eine passende Aura des Lebens und der Vergänglichkeit. Sie sagte später, er habe sie mal auf einem Festival geküsst und wäre trotzdem weiterhin recht distanziert gewesen. Na, ja, man muss auch nicht alles erzählen.

Wie auch immer, es sind wieder eine ganze Reihe von Perlen hier zusammengetragen worden, u.a. wirken auch Aaron Neville, Solomon Burke und Natalie Cole mit, so dass wieder eine große Bandbreite der afroamerikanischen Musikszene vertreten ist. „Schon fast zu Beginn seiner Karriere als Songwriter prägten Dylans Texte und Musik die afroamerikanische Musikszene. „Blowin’ In The Wind“ sprach ein Amerika an, das damals noch weitgehend segregiert war…“, heißt es im Promo-Text und genau dies habe ich ja auch in meinem Buch „Bob Dylan & Black America“ 2021 herausgestellt. Mehr noch: „Bob Dylan ist seine ganze Karriere über in vielfältiger Weise künstlerisch, gesellschaftlich, politisch, spirituell und menschlich konkret mit der Black Community Amerikas verbunden“ (Thomas Waldherr, Bob Dylan & Black America, Hamburg 2021, Seite 10).

Das sehr hörenswerte Album „Highway Of Diamonds“ erscheint bei Ace-Records in Großbritannien und ist hierzulande ab Februar 2026 erhältlich.

Trackliste:

1. A hard rain’s a-gonna fall – The Staple Singers

2. Everything is broken – Bettye Lavette

3. Just like Tom Thumb’s blues – Nina Simone

4. Gotta serve somebody – Natalie Cole

5. It ain’t me Babe – Maxine Weldon

6. It’s alright Ma (I’m only bleeding) – Billy Preston

7. The Mighty Quinn – Solomon Burke

8. Rainy Day Women #12 & 35 – Merry Clayton

9. Shelter from the Storm – Cassandra Wilson

10. The times they are a-changin‘ – The Brothers & Sisters of Los Angeles

11. Tomorrow is a long Time – Harry Belafonte

12. Baby i’m in the mood for you – Odetta

13. Don’t fall apart on me tonight – Aaron Neville

14. If not for you – Sarah Vaughan

15. George Jackson – JP Robinson

16. When he returns – Jimmy Scott

17. I threw it all away – The Bo-Keys

18. Down along the cove – Johnny Jenkins

19. Every grain of sand – Lizz Wright

20. Blowin‘ in the wind – The Caravans

Der Mann am Klavier

Besondere Brüsseler Bob-Beobachtungen

Thomas Waldherr hat in Brüssel genau hingeschaut, Foto: Cowboy Band Blog

So langsam schlurfend Dylan die Bühne betritt, so sehr „on fire“ ist Dylan aber am Klavier an diesen beiden Brüsseler Abenden (26. und 27. Oktober), die wir ihn im Kulturzentum Bozar erleben durften. Der Dylan dieses Herbstes ist sehr viel kraftvoller, dynamischer und spielfreudiger als der Dylan des letzten Herbstes, so wie wir ihn in Frankfurt sahen. Die beiden Brüsseler Konzerte waren musikalisch stark und beeindruckend bezüglich von Dylans Präsenz und Dynamik. Captain Bob hat die Zügel fest in der Hand.

Kraftvoller Gesang, kreatives Klavierspiel

Am Klavier entfaltet er sich, haut in die Tasten, singt kräftig, mal fein und zart, dann wieder kraftvoll-heulend. Den Mann am Klavier gibt Dylan seit vielen Jahren schon. Anfangs noch alternierend zum Gitarrenspiel, dann unternahm er mit Mikrofon und Mundharmonika Ausflüge in die Bühnenmitte. Seit dem Beginn der „Rough And Rowdy Ways-Tour“ im Herbst 2021 sitzt er fast durchgehend am Piano. Letztes Jahr stand er hin und wieder auf, tapste ein bisschen herum und hielt sich am Klavier fest. Diesmal sitzt er das ganze Konzert über. Seit dem letzten Jahr daddelt er ein bisschen sitzend an der Gitarre in der Einleitung zu „It Ain’t Me Babe“. An den beiden Brüsseler Konzerten greift er noch ein zweites Mal mit dem Rücken zum Publikum zur Gitarre. Bei „When I Paint My Masterpiece“ jammt er mit der Band die von „Istanbul/Not Konstantinopel“ geliehene Rhytmuslinie, variiert sie. Bob und seine „Gang“ spielen als wären wir gar nicht da. Alle scharen sich noch länger um den Meister, als ohnehin schon.

Das erste Konzert war in meiner Erinnerung noch stärker als das zweite. Immer wieder holt er ganz kreativ Klavierfiguren, mit denen er die Freiräume füllt, die ihm die Band. Sie schaffen einen Rhythmus- und Klangteppich auf dem er sich entfalten kann. Tony Garnier ist der versierte Bandleader, jetzt schon 36 Jahre (!) mit Dylan zusammenspielt. Anthony Fig ist der beste Dylan-Drummer seit George Receli und die beiden Gitarristen Bob Britt und Doug Lancio ordnen sich ohne jegliche Soloallüren in die geschlossene Mannschaftsleistung ein, wie man im Fußball wohl sagen würde. Sie tragen aber dadurch entscheidend zum hohen musikalischen Niveau der Bob Dylan Band bei.

Dylans sparsame, aber aufschlussreiche Mimik

Am zweiten Abend gelingt es Dylan nicht so sehr, zündende Klavierfiguren aus dem Ärmel zu schütteln. Dann stutzt er, überlegt er und schwimmt dann im Klangteppich mit. Überhaupt muss man Dylan bei einem Konzert nahe sehen, denn seine sparsame Mimik und Gestik erschließt sich aus der kurzen Distanz. Beim zweiten Konzert blickte er mehrmals zur Seite und nach hinten, als wäre er mit irgendwas unzufrieden.

Beide Abende trägt Dylan seine Kämpfe mit dem Mikrofon aus. Am Anfang singt er neben das Mikro, dann wird den ganzen unablässig das Mikrofon von Dylan hin- und hergezerrt. Einmal scheint es einfach perfekt zu sein, da schiebt er es wieder in eine nicht so richtig gute Position.

Dylan trägt nun ganz schlichte dunkle Anzüge. Am zweiten Abend trägt er ein blaues Jackett, darunter ein simples schwarzes T-Shirt. Die Zeit des Hoodies ist vorbei, aber auch Westernanzüge und Hüte bleiben derzeit im Schrank.

Kein Gefühl des „Abschieds“

Dylan höchstens einmal „Thank You“, stellt seine Band nicht vor. Dafür steht er immer zwischen den Songs immer mal wieder kurz vom Sitz auf. Teils einfach aus Freundlichkeit und Dank, denn man meint, die Mundwinkel gingen ein bisschen nach oben, teils wohl auch als Zugeständnis an das Publikum. Denn wenn man im Parkett in den vorderen Reihen auf der linken Seite sitzt, kann man in den gut 110 Konzertminuten ansonsten nur ein paar Locken von Dylan blitzen sehen.

Am Ende dann bleibt Dylan dann einige Zeit mit durchaus freundlichem Gesichtsausdruck dem Publikum zugewandt stehen. Dann schlurft er wieder in die dunklen Bühnenabgang zurück. An diesen Abenden kam nicht einmal ein Gefühl des Abschieds auf, wie wir es in Frankfurt 2024 tatsächlich ein bisschen spürten. Wer weiß, vielleicht steht die Sommertour durch Europa 2026 schon beim Meister auf dem Plan.

Muscles or Mussels in Brusseles?

Dylan gibt nicht auf, sein Meisterwerk malen zu wollen. Eine Vorschau auf unsere Pilgerreise zu Bob Dylan in die belgische Hauptstadt

Vorfreude auf die Brüsseler Dylan-Konzerte, Copyright der Collage: Willi Urbanski

Es geht nach Brüssel. Wir sehen dort Bob Dylan bei zwei seiner drei Konzerte in der belgischen Hauptstadt im wunderschönen Konzertsaal des Kulturzentrums BOZAR. Wie passend, hat er doch seit geraumer Zeit „When I paint my Masterpiece“ auf der Setlist.

Denn in “When I paint my Masterpiece” singt Dylan:

“I left Rome and landed in Brussels
On a plane ride so bumpy that I almost cried
Clergymen in uniform and young girls pullin’ muscles“
                                         oder heißt es nicht etwa
„Clergymen in uniform and young girls pulling mussels?“

Geistliche in Uniform und „junge Mädchen, die Muskeln spielen lassen“, oder „junge Mädchen, die Muscheln ‚ziehen‘“, also das Muschelfleisch aus der Schale holen. Ich habe immer „Mussels“ verstanden. Da war für mich naheliegend, weiß man doch, dass das eine Art Nationalgericht in Belgien ist. Doch auf bobdylan.com und in den offiziellen Songtextbüchern steht „muscles“. Aber man findet im Netz auch immer wieder „Muscheln“ (Klasse Wortspiel!).

Nach dem Meisterwerk ist vor dem Meisterwerk

Oder hat Dylan den phonetischen Witz der Doppeldeutigkeit ganz gezielt hier gestreut? Die einen sagen so, die anderen so. Ich kann mir das gut vorstellen. Dylan hat den Song 1971 erstmals aufgenommen, zu einer Zeit als er wohl intensiver über sich und seine Rolle als Künstler nachgedacht hat. Und vielleicht das erhabene Thema des Songs humorig brechen wollte. Denn in einem Interview mit Douglas Brinkley 2020 erklärte Dylan zu diesem Song: „Ich glaube, dieses Lied hat etwas mit der Welt der Klassik zu tun, mit etwas Unerreichbarem. Irgendwo, wo man jenseits seiner Erfahrung sein möchte. Etwas, das so erhaben und erstklassig ist, dass man nie wieder von diesem Berg herunterkommen könnte. Dass man das Undenkbare erreicht hat. Das versucht das Lied auszudrücken, und man muss es in diesen Kontext stellen. Doch selbst wenn man sein Meisterwerk malt, was wird man dann tun? Nun, offensichtlich muss man ein weiteres Meisterwerk malen.“

Das Konzept der Endlichkeit

Dylan gibt also auch nicht auf, sein Meisterwerk zu malen und auch diesmal wird es auf der Setlist stehen. Unter den Rezensenten seiner aktuellen Konzerte in Deutschland hat es Max Dax in der Frankfurter Rundschau sehr gut auf den Punkt gebracht: „Seit dem Start seiner Rough and Rowdy Ways Welttournee 2021 gleichen die Konzerte Bob Dylans einer stoischen, gebetsmühlenartigen Reflexion über eben die Endlichkeit des Lebens…Die Konzerte werden zur Meditation über die Unvermeidlichkeit…“ Und in dieses Konzept passt „Masterpiece“ perfekt. Das Leben ist endlich, der Versuch ein Meisterwerk zu malen lebenslang.

Andere Journalisten haben dagegen die gleiche alte Suppe neu aufgewärmt. So schreibt Danny Marques-Marcalo auf ndr.de: „Die Texte singt er oft vernuschelt. Am Klavier und hin und wieder an der Gitarre spielt er gut, nicht großartig. Drei Worte, DREI, richtet er ans Publikum: „Well, thank you“, nach einem Song.“ Kennt man die drei Sätze, kennt man die ganze Kritik. Bar jedes Interesse für die Musik des Abends weiß er nichts, aber auch gar nichts über Performance oder gar Konzeption des Konzerts erzählen. Stattdessen käut er die alten Klischees wieder. Und schreibt schlicht die Unwahrheit. Denn so gut bei Stimme und verständlich wie derzeit hat Dylan jahrzehntelang nicht gesungen. Hört Euch auf youtbube „Desolation Row“ aus dem Hamburger Konzert oder „Every Grain of Sand“ aus Kopenhagen vom Dienstag an. Man versteht alles und der Marques-Marcalo leider nichts.

In der Presse oftmals die alte Suppe

Max Dax hat also eine tolle, angemessene Kritik geschrieben. Aber was bietet die Presseschau sonst noch so? Ein freundlicher, aber wenig tiefgründiger „Kommentar“(?) von Carlotta Hensel auf hamburg.t-online.de beispielsweise. Oder ein leider nicht namentlich gekennzeichneter Artikel auf lebensart-sh.de, der sehr treffend die immer noch vorhandenen merkwürdigen Erwartungshaltungen von Teilen des Publikums aufspießt. „Dylan sagt noch nicht mal hallo!“ Potzblitz! Das geht ja gar nicht. Das schreibt der so viele Wörter in seine Texte und dann geizt er mit Small Talk. Uff! So manche Leute setzen weder die richtigen Prioritäten, noch informieren sie sich vorher. Dabei – und da wären wir wieder beim Danny vom NDR – gibt es doch genug Texte, die von Dylan abschrecken können.

Auch wieder schön ist die Hamburger Morgenpost (Mopo). Der „Super-Poet“ (!!!????) hat ein Handyverbot entlassen! Oh je, oh je. Gerade deswegen sind aber die Dylan-Konzerte so intensive, fast kammerkonzertmäßige Erlebnisse. Da gibt es kein aufgeregtes Shooting und Selfies mit Bob im Hintergrund. Und keine Leute, die von Anfang bis Ende Videos drehen und die ganze Zeit das Konzert nur über das Display sehen. Das hat mich vor einiger Zeit in einem Patti Smith-Konzert in Frankfurt sehr gestört. Zum Glück war das aber vor allem ein Problem im Parkett, auf den Sitzplätzen war man da gelassener und zurückhaltender.

Wenn einen das Dylan-Fieber wieder packt

Also nichts neues in der Presse. Nichts neues im Konzert war auch mein erster Gedanke beim Blick auf die Setlists der ersten Europakonzerte. Ich mieser Verräter! Denn nur ein paar Takte der youtube-Mitschnitte reichten und schon packte mich Dylan wieder. Und auch hier hat es Max Dax auf den Punkt gebracht: „Dylans Timing beim Singen, seine Phrasierungen, sind von einer Präzision, die ihresgleichen sucht, was übrigens zum Teil erklärt, warum ihm seine Fans auch heute noch hinterher reisen. Noch vor wenigen Jahren konnte man in anderen Städten komplett andere Dylan-Konzerte hören, heute wirkt es manchmal so, als würde Dylan seiner Band eine nur für diesen Abend geltende Stimmung vorgeben – dunkel, hell, andächtig, David Lynch oder Punkrock –, was im Ergebnis dazu führt, dass jedes Konzert eine andere Koloratur und Stimmung zugewiesen bekommt.“

Lange Zeit stand bei der Vorbereitung die Beschäftigung mit Brüssel als Stadt im Mittelpunkt: Comic-Museum, Atomium, Europa-Parlament, belgisches Bier, Pommes und…natürlich die Muscheln! Jetzt aber hat mich das Dylan-Fieber wieder gepackt. Trotz oder gerade wegen meiner Dylan-Konzerte Nr. 49 und 50. Und da sind wir abermals bei Max Dax. Die Endlichkeit spüre ich schon. Dylans drei Konzerte in Frankfurt wären schon ein würdiger Abschied gewesen. Doch Dylan macht weiter, zumindest bis zum 25. November, wenn seine Europatour in Dublin endet. Und wenn er weiter macht, dann muss ich das auch!

Jetzt wieder aktuell: Bob Dylans „Talkin‘ John Birch Paranoid Blues“

“The Original Freewheelin’ Bob Dylan” ist das richtige Statement zur richtigen Zeit

Nein, natürlich ist Bob Dylans „Talkin‘ John Birch Paranoid Blues“ kein neuer Song. Aber man sollte sich gerade in diesen Zeiten an ihn erinnern, auch wenn er zu anderen Zeiten geschrieben wurde. Er erfährt nun noch einmal eine Renaissance, weil er zum Record Store Day als Teil der LP „The Original Freewheelin‘ Bob Dylan“ erscheint.

Die John Birch Society (JBS) ist eine rechtsextreme Organisation in den USA, die antikommunistische, antiglobalistische und Neue-Weltordnungs-Verschwörungstheorien vertritt. Sie wurde am 9. Dezember 1958 in Indianapolis gegründet. Sie hatte das Ziel vermeintlich zunehmende Gefährdungen der amerikanischen Verfassung zu bekämpfen, womit im Besonderen eine Infiltration durch Kommunisten gemeint war.

Als wäre es ein Stück von heute

Auf diese Paranoia bezieht sich Dylan in seinem Song. Überall sind Kommunisten am Werk. Sogar die US-Regierungen Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre seien von Kommunisten infiltriert, behaupten die Birch-Leute. Dylan spießt das auf, in dem er den Erzähler singen lässt: „Meines Wissens gibt es nur einen Mann, der wirklich ein echter Amerikaner ist: George Lincoln Rockwell. Ich weiß, dass er Kommunisten hasst, weil er vor dem Film Exodus demonstriert hat.“

Dieser George Lincoln Rockwell war der Gründer und „Führer“ der World Union of Free Enterprise National Socialists und ihres Nachfolgers, der American Nazi Party. Bekannt wurde er in den Medien unter der Bezeichnung „American Hitler“.

Damals war der Einfluss der John Birch-Organisation immerhin so groß, dass die CBS befürchtete, dass die Aufnahme des Liedes in die Ed Sullivan Show im Mai 1963 zu einer Verleumdungsklage von Mitgliedern der John Birch Society führen könnte. CBS forderte von Dylan, einen anderen Song zu spielen. Das ist verblüffend aktuell, sieht man auf die Maßnahmen mit denen kritische TV-Geister wie Stephen Colbert oder Jimmy Kimmel mundtot gemacht werden sollen.

Dylan weigerte sich damals und trat nicht in der Sendung auf. Er hatte den Zeitgeist und den Lauf der Geschichte auf seiner Seite, auch wenn der Song von der Plattenfirma letztlich nicht für Dylans großes Durchbruchs-Album „The Freewheelin‘ Bob Dylan“ zugelassen wurde. Die progressiven Umwälzungen der 1960er Jahre aber machten die Birch Society zu Losern.  

John Birch Society: Ähnliches Denken wie bei MAGA

Doch ihr Gedankengut und auch die Organisation überlebten. Sie schaffen es immer noch, ihre Mitglieder in Stadträte, Boards of Education und andere staatliche und zivilgesellschaftliche Gremien zu entsenden. Ihre Ideologie ähnelt stark den Positionen von Donald Trump, insbesondere die isolationistische Außenpolitik sowie die Erzählungen eines angeblichen Deep State finden wir auch in der MAGA-Ideologie.

In einem Artikel für The American Conservative aus dem Jahr 2017 schreibt Scott Beauchamp: „Ein halbes Jahrhundert später ist der Humor dieses schwammigen, paranoiden Denkens noch immer vorhanden, wenn auch in umgekehrter politischer Polarität.“ Menschen würden den Begriff „Faschist“ verwenden, um Konservative, Präsident Donald Trump oder alles, was ihnen nicht gefiel, zu bezeichnen. Er fügte hinzu: „Die Definition [von ‚Faschismus‘] sollte tief in historischen und politischen Besonderheiten verwurzelt sein, damit wir nicht zu dem Schluss kommen, dass die Nazis durch ihr unhöfliches Verhalten oder ihre Weigerung, für Hillary Clinton zu stimmen, zu Faschisten wurden.“

Der Konservative Beauchamp drehte die Denkfigur einfach um. Doch nicht einmal zehn Jahre später merken wir, dass Donald Trump und seine MAGA-Bewegung mittels des gewalttätigen ICE, unzähliger Kulturkampf-Dekrete, des Krieges gegen die demokratischen Großstädte, der Gleichschaltung des Militärs und der juristischen Verfolgung von politischen Gegnern die USA tatsächlich zu einem autoritär-halbfaschistischen Staat umbauen will. „Kriegsminister“ Pete Hegseth und viele andere Funktionsträger des Trump-Regimes sind offen rechtsextrem und folgen einem fanatischen, ausschließenden, weißen Christentum, das sogar nichts mehr von der frohen Botschaft in sich hat. Und sicher sind unter den vielen neuen Mitarbeitern des ICE auch einige „Proud Boys“ dabei. Rechtsextreme hat es schon immer in den USA gegeben. Und der Ku-Klux-Klan war in der Zwischenkriegszeit im letzten Jahrhundert tatsächlich in Massenphänomen. Doch nie waren die Vertreter der rechtsextremen Ideologie an den absoluten Schaltern der Macht. Heute sind sie in der Regierung und besetzen fast alle wichtigen Ämter.

Ein politisches Statement

Wenn also in diesen Tagen Dylans über 60 Jahr alter Song nun mit der Original Freewheelin-LP erscheint, dann ist das als politisches Statement zu sehen. Ob John Birch Society, MAGA oder Project 2025: Die Demokratie- und Menschenfeinde sind in den USA an der Macht. Es gilt die Gegenkräfte und das kritische Denken und Handeln zu stärken.

Die Aura des jungen Bob Dylan

Bei der neuen Folge der Bootleg Series geht es auch um den Erhalt und die Wiederbelebung der Aura des jungen Dylan

Bob Dylan 1963, Foto: Wikimedia Commons

Stellt sich irgendwo in einer Stadt ein Lockenkopf mit Gitarre in die Fußgängerzone und beginnt zu spielen, dauert es nicht lang und die ersten Vergleiche werden gezogen: „Da schau, wie der junge Dylan!“ Spielt Jesse Welles mit ungebändigtem Haarschopf auf seiner Gitarre Protestsongs heißt es schon wieder: „Schau, wie der junge Dylan“. Und es bedarf nur eines Schatten wie im Coen-Brüder-Film „Inside Llewyn Davies“ oder die Konturen im grellen Scheinwerferlicht wie weiland in „Madame Toussaud’s Rock Circus in London und schon erkennt jeder den jungen Dylan.

Ikonographische Bilder

Die Bilder des jungen Bob Dylan – erst mit Cordmütze und Arbeiterhemd, dann mit Lockenkopf und Polka Dot Shirt –  sind ikonographisch. Genauso wie seine Songs. Sie sind eins geworden. Gefangen in der Endlosschleife. Forever Young, Forever Young, Forever Young. Mehr als allen anderen Künstlern, die auf der Bühne gealtert sind, steht man ihm das eigentlich nicht zu. Leonard Cohen durfte es. Van Morrison darf es. Joan Baez und Neil Young sowieso. Während Jagger immer noch versucht sich zu bewegen, als wäre er Zwanzig. Das ist populistischer, rockistischer Jugendwahn, der noch dazu jeden künstlerischen Anspruch zugunsten des immer ewig gleichen aufgegeben hat. Wie wird es Bruce Springsteen in zehn Jahren auf der Bühne ergehen, wenn er keine drei-Stunden-Konzerte mehr geben kann? Wenn er dann überhaupt noch öffentlich auftreten darf. Wer weiß, was der orangene Diktator bis dahin noch so alles verboten hat.

Lieber den Impersonator hören?

Am liebsten würden viele Dylan immer wieder frisch im Sixties-Look sehen. So wie die Bob Dylan-Impersonators, die den Eventies unter dem Bob Dylan-Publikum dann regelmäßig besser gefallen, als der Künstler, der sich und seine Songs stets Veränderungen unterworfen hat.

Nun, da der Künstler wirklich alt ist und man ihm es ansieht – Bob Dylan ist jetzt 84 und jede Tour könnte die letzte sein – scheint auch dem Dylan-Lager klar zu sein, dass man dem Druck nachgeben muss. Der großartige Film „Like A Complete Unknown“ hat durch die Darstellung des charismatischen jungen Dylans durch Timothée Chalamet viele Junge für Dylan interessiert. Doch für eine nicht mitgealterte Fanwelt ist es schwierig auszuhalten, dass der alte Mann da am Klavier dieselbe Person ist – wohlgemerkt nicht der gleiche Mensch – wie der, der in den 1960ern für Furore sorgte.

Bob Dylan 1966, Foto: Wikimedia Commons

Sicher, Jeff Rosen hatte die Früh-Dylan-Bootleg-Folge schon länger auf dem Schirm. Aber dass sie jetzt gerade – im Jahr des Chalamet-Films, als auch einer neuen Dokumentation zum Folk-Revival erscheint, geschieht wohl auch aus Opportunitätsgründen und wegen der jungen Zielgruppe. Die alten Fans besorgen sich die neue Box sowieso.

No Photos!

Derweil spielt der alte Dylan nur noch das was er will. Und bringt tatsächlich fünf Songs, die bis 1965 entstanden sind. Nur die klingen natürlich ganz anders als im Film. Also auch schwer kompatibel. Während also sein Management dem jungen Dylan frönt – und dabei so vieles auslässt, was so viele Dylans-Fans freudig erwartet hatten – bleibt Dylan ganz bei sich. Mehr noch, er holt auch wieder fast vergessene Verhaltensweisen wieder raus. Im letzten Abschnitt der Outlaw-Tour verbarrikadierte er sich mit Hoody im sparsamen Licht hinter dem Flügel. Ähnliches hat er zuletzt zu Beginn der Never Ending Tour gemacht.

Klar, dass das mit dem unablässigen fotografieren und filmen zu tun. Viele sehen ein Konzert nur noch mittels des zwischengeschalteten Mobilphones und verhindern damit für sich und alle anderen das exklusive Live-Erlebnis. Auf seiner Europa-Tour darf man den Hoodie nicht fürchten. Da ist Dylan wieder Herr über das Verfahren und wird die Nutzung von Smartphones und Kameras wieder verbieten.

Dylan hat sich wie kein anderer Künstler die Macht über das eigene Bild zur immerwährenden Aufgabe gemacht. Und gerade als alternder Künstler ist er bedacht auf vorteilhafte Aufnahmen.

Neue Songs statt Nostalgie!

Während sich der junge Dylan als Hipster als absolut kompatibel für die Kids herausstellt – die werden die neue Box sowieso hauptsächlich über Stream hören – werden zu den Konzerten dann wieder die mitgealterten Fans und die jungen ganz interessierten Musikfreunde pilgern. Ich würde mir wünschen, dass die diesjährige Nostalgie bald weicht, in dem Dylan uns neue Musik gibt. Ob er sich dazu nochmal aufraffen kann?

Die ganz frühen Jahre

Folge 18 der Bootleg Series beschäftigt sich mit Dylans ganz jungen Jahren. Damit ist aber nur eine Lücke der Werkausgabe geschlossen, andere bleiben.

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Bei jeder Tourankündigung die Bob Dylan derzeit macht, rätseln alle: „Wird es seine letzte sein?“ Den Live-Künstler Bob Dylan könnten wir schon bald verlieren bzw. vielleicht gibt er nur noch wenige ausgewählte Konzerte. Der kreative Kopf ist aber scheinbar rege und produktiv wie gewohnt. Ein neues Buch mit Zeichnungen erscheint im Herbst, hier und da geht er ins Studio und wahrscheinlich ist sein Notizbuch voller halbfertiger oder bei Seite gelegter Songideen.

Zurück zu den Anfängen

Dass jetzt, während er auf die 85 zugeht, in diesem Jahr gleich zwei Filme über seine Frühzeit erschienen sind und die nächste Ausgabe der Bootleg Series sich mit den ganz frühen Jahren 1956 bis 1963 befasst, passt aber zu dem oben skizzierten Gedanken der Endlichkeit, bei der man sich wieder auf die Ursprünge besinnt. So wie Dylan selbst, der gerade zum Tour-Auftakt in Bangor, Maine mit „Masters Of War“, „To Ramona“ und „Don’t Think Twice“ ganz alte Werke rausholt. Dass „Masters Of War“ dabei als Statement zur Weltlage gesehen wird? War die Weltlage je anders? Ja und Nein. Abgesehen von Europa bis zu den Balkankriegen war seit dem 2. Weltkrieg irgendwo immer Krieg. Aber: Die Kriege sind nähergekommen (Ukraine), werden scheinbar von allen beteiligten Seiten immer rücksichtloser geführt (Hamas/Netanjahu-Regierung) bzw. führt Trump schon eine Art Krieg in eigenem Land gegen Migranten und gegen demokratische Städte und schafft wieder ein Kriegsministerium. Und hätte dafür dann gerne den Friedensnobelpreis? Unter diesen Bedingungen ist „Masters Of War“ dann tatsächlich ein Statement. Und ist genauso aktuell wie alle seine Protestsongs heute noch – oder wieder – aktuell sind.

Bei der Bootleg Series Vol. 18 hinterfragt man natürlich die Qualiät der Aufnahmen. Wir kennen ja die Hotel- und Partytapes der frühen Jahre. Jetzt auch die Highschool-Tapes? Die Probenkeller-Tapes? Und sein allererstes Solokonzert auf der Sommerlager-Hütte ist auch dabei? Man sagt, dieses Projekt sei für Dylans rechte Hand Jeff Rosen ein Herzensanliegen. Und in der Tat: Editorisch ist das genau die Lücke. Man hat den Musiker Dylan damit bis zu seinen Anfängen zurückverfolgt. Ob das jetzt Schlüsse auf seine spätere künstlerische Entwicklung zulässt? Wir werden sehen.

Wer hat die Liner Notes geschrieben?

Es bleibt zu wünschen, dass ein kluger Kopf – Greil Marcus, Elijah Waldo, Rosen selbst? – mit den Liner Notes beauftragt worden ist und nicht Schlüssellochgucker Clinton Heylin. Wenn das gewährleistet und das Ganze einigermaßen hörbar, dann noch optisch gut und wertig verpackt ist, dann kann man sich wirklich freuen. Auf das ganze Werk. Aber auch unter einem anderen Aspekt: Schließlich stand das Ding irgendwie jahrelang da wie der sprichwörtliche Elefant im Raum. Wenn das mal erledigt ist, kann man sich endlich wieder anderem zuwenden.

Wir warten immer noch auf die Veröffentlichung von Live-Musik der jüngeren Touren oder gar ein Box-Set, das einen schönen Überblick über die Touren seit 1988 gibt. Dass Dylans letztes Live-Album – außer dem Sonderaufgebot an Stars vom Madison Square Garden 1992 – das uninspirierte Genöhle und Gefuddel mit Grateful Dead ist (ich weiß, dass mir jetzt einige böse sind) – ruft bei mir immer noch große Schmerzen hervor. Die tollen 1986er Konzerte mit Tom Petty harren auch immer noch einer offiziellen Veröffentlichung. Außer dem Australien Konzertfilm „Hard To Handle“ ist da nie was erschienen.

Wir hätten da noch ein paar Wünsche

Also schauen wir mal was jetzt kommt. Dass die Bootleg Series Vol. 18 die Reihe abschließen wird, ist schwer vorstellbar. Da ist einfach noch zu viel da. Und es kommt ja auch immer noch weiteres hinzu. Wobei wir wieder in der anfangs gestellten Frage wären. Und die lässt sich aus Jahrzehnten Bob-Watching einfach nicht zwingend und klar beantworten. Stay tuned!

Worum es in diesem Blog geht

In diesem Blog schreibe ich über Bob Dylan und die Musik, die man heutzutage Americana nennt: Classic Country, Alternative Country und Roots-Rock, der auf Country, Blues, Gospel und Rock’n’Roll fußt. Nichts zu lesen gibt es hier über die Mainstream Hat-Acts der Country-Industrie.

Meine Devise ist, dass ich auf die Musik aufmerksam machen will, die mir gefällt. Was mir nicht gefällt kommt nur in Ausnahmefällen vor. Also viel Spaß beim Lesen!

Thomas Waldherr