Noch ein Nachtrag zu Dylans Brüsseler Konzerten

Wenn wir zu Dylans Konzerten reisen, dann tauchen wir in die Städte ein, in denen sie stattfinden. Und eigentlich immer gibt es dort etwas zu sehen, das einen Dylan-Bezug aufweist. In Augsburg 2019 besuchten wir das Brechthaus, wohl wissend, dass der frühe Songwriter Dylan durchaus von der Brecht’schen Dramatik beeinflusst war. Und wir haben die Augsburger Puppenkiste besucht. Denn ist der „Seelefant“ aus der Urmel-Reihe nicht auch so ein außergewöhnlicher, einsamer Sänger, der den Blues hat? In Berlin 2022 war dann das dortige Brecht-Weigel-Museum unser Ziel. Und in Brüssel Ende Oktober haben wir uns das Jaques-Brel-Haus angesehen.
„Der belgische Bob Dylan“

Zwar hatte Brel so gut wie keine Verbindungen zur US-amerikanischen Musiktradition, dennoch wird er oftmals als „belgischer Bob Dylan“ bezeichnet. Amy Graves Monroe, außerordentliche Professorin für Französisch und Leiterin des Fachbereichs Romanische Sprachen und Literaturen, erklärt diesen Vergleich: „Er ist wie Bob Dylan, ein Singer-Songwriter der Extraklasse, ganz ohne Schnickschnack. Sein Songwriting-Stil legt das Lied, den Songwriter, seine Kunst und seine einzigartige Performance schonungslos offen. Ich glaube, was die Leute an Jacques Brel fasziniert, ist nicht nur die Lyrik seiner Texte, sondern auch der Klang seiner Stimme. Man findet selten jemanden, der so viel Emotion in eine einzige Gesangsphrase packen kann. Nur Menschen mit höchster Kontrolle und emotionaler Ausdruckskraft können so singen.“
Doch während Dylan gerade in seiner Frühzeit oftmals erst fatalistisch, dann cool klang, war Brel ein gesanglicher Expressionist per excellence. Und gerade seine Performances lebten davon, dass er die Lieder lebte. Wenn er seinen Klassiker „Amsterdam“ über das brutal-tragische Treiben im Amsterdamer Hafen sang, dann litt er so sehr mit den Figuren und den Umständen, dass er am Ende schweißgebadet war.
Brel gehört wie Dylan zu größten Songwritern aller Zeiten

Doch hinter diesem spektakulären darstellerischen Gesang, darf man seine Songwriting-Kunst nicht vergessen. Der mit Bob Dylan befreundete Wim Wenders zählt Brel zu den fünf größten Liedtextern aller Zeiten. Wie die viele seiner Singer-Songwriter-Zeitgenossen bestehen auch Brels frühe Werke hauptsächlich aus geradlinigen, kurzgeschichtenartigen Liedern. An Johnny Cash oder den frühen Bob Dylan erinnert sein sparsames Arrangement und seine erzählende Haltung bei „Le Moribond“ (Der Sterbende). Hier ist Brel voller Zynismus und Spielerei und schildert so humorvoll die Erkenntnisse eines Mannes auf dem Sterbebett.
Kommen wir nochmal zur Musiktradition. Es gibt noch etwas verbindendes zu Dylan. So wie der und das US-Folkrevival erlebte das französische Chanson als Ausdruck einer „Volkskultur“ seinen Aufstieg zur Massenwirkung in späten 1950ern und den 1960er Jahren.
Brel früh vollendet und früh verstorben – Dylan im hohen Alter unermüdlich auf Tour

Größter Unterschied zwischen Dylan und Brel dürfte dagegen sein, dass Brel irgendwann tatsächlich sein Herz „leer“ gesungen hatte. Bereits Ende der 1960er-Jahre ging er auf Abschiedstournee und verlegte er sich erst vom Singen zum Filmen. Er spielte in einigen Filmen mit, scheiterte dann aber mit einem eigenen Filmprojekt – mit Wild-West-Motiv (!) – genauso wie Dylan später mit seinem Filmen scheitern sollte. Danach zog sich Brel zurück und starb 1978 im Alter von nur 49 Jahren. Ein früh vollendeter, früh gestorbener Chansonier der Meisterklasse. Bob Dylan dagegen steht heute mit 84 Jahren noch immer auf der Bühne und sein Gesang ist besser und expressiver als je zuvor.
Auch und gerade bei den Konzerten in Brüssel, wo wir in die Welt von Bob und Brel eintauchen durften.
Brel aufgrund der Dominanz der englischsprachigen Songwriter nie live gehört zu haben, finde ich seehr schade. Aber er war wohl eine Kerze, die an beiden Enden brannte. Ich wünsche Ihnen schöne Feiertage, lieber Herr Waldherr! Gruß Gisbert Horn
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Auch Ihnen frohe Feiertage, lieber Herr Horn!
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